Überstrapazierter Alarmismus

Der Abstimmungskampf zur Durchsetzungsinitiative wird als einer der gröberen Sorte in die Geschichte eingehen. Das ist kein Unglück – sofern anschliessend wieder Argumente zählen.

Wer erinnert sich noch an den eidgenössischen Wahlkampf 2015? Ein laues Lüftchen wehte damals durch die Schweiz. Die Parteien setzten nicht auf Konfrontation mit dem argumentativen Zweihänder. Stattdessen wurde via Hitparade, Telefonhörer, Facebook und Bierzelt die eigene Wählerbasis mobilisiert.

Es scheint ganz so, als habe die Classe politique – SVP inklusive – akute Entzugserscheinungen. Im laufenden Abstimmungskampf holen die politischen Tenöre nach, was sie im Wahljahr verpasst haben: Es wird gezetert und auf den Gegner eingeschlagen, als sei die Schweiz ein einziger grosser Boxring.

Die dicksten Knüppel werden im Kampf um die Durchsetzungsinitiative geschwungen. Wie so oft ging Christoph Blocher voran. Die Schweiz befinde sich auf dem Weg in die Diktatur, polterte der einstige Justizminister. Das veranlasste SP-Ständerätin Anita Fetz, grimmig zu kontern: «Die Schweiz ist auf dem Weg in die Apartheid.» Und die Basler Genossin setzte noch einen drauf: «Was kommt als Nächstes? Armbinden für Flüchtlinge?»

Dass auch die Gegner der Durchsetzungsinitiative grobes Geschütz auffahren, lassen die Initianten nicht unbeantwortet. SVP-Nationalrat Lukas Reimann spricht von «Lug und Trug» . Die Gegner versuchten, das Volk in die Irre zu führen, indem sie behaupteten, sogenannte Bagatelldelikte würden automatisch zur Ausweisung führen. Dass sogar Juristen «solchen Schwachsinn» verbreiteten, sei mehr als bedenklich, so Reimann. Handkehrum meint FDP-Präsident Philipp Müller, die Initianten hätten für den Rechtsstaat nur noch «Hohn und Spott übrig» . Die Durchsetzungsinitiative sei ein Anschlag auf die Schweiz und ihre Rechtsordnung.

Das Stimmvolk wird am 28. Februar an der Urne ein Machtwort sprechen. Noch knapp fünf Wochen haben die politischen Gladiatoren also Zeit, aufeinander einzudreschen. Schon jetzt lässt sich unschwer feststellen, dass dieser Abstimmungskampf als einer der gröberen Sorte in die Geschichte eingehen wird. Die neue Legislaturperiode wird so gleichsam von einem neuen Sound geprägt. Nicht sonniger Schlager ist en vogue, sondern krachender Hardrock.

Dünnhäutigkeit ist hüben und drüben fehl am Platz. Es kann nicht schaden, wenn in der Politik mitunter die Fetzen fliegen. Der Souverän weiss zu differenzieren. Er wird denn auch erkennen, dass Blochers Diktatur-Polemik krass überzogen ist. Im gleichen Atemzug ist Anita Fetz vorzuhalten, dass ihr Hinweis auf die Apartheid und erst recht der unsägliche historische Armbinden-Querverweis inakzeptabel sind. Richtig ist allerdings, dass die Durchsetzungsinitiative eine rechtsstaatliche Fehlkonstruktion ist, dass sie einer Zwängerei gleichkommt und dass der Initiativtext unserer Verfassung nicht würdig ist.

Dies gesagt, kann auch noch festgehalten werden, dass die Schweiz am 28. Februar nicht zugrunde gehen wird. Das demokratische Musterland hat schon andere Stürme heil überstanden. Das setzt allerdings voraus, dass sich die Akteure nach geschlagener Schlacht wieder an einen Tisch setzen. Wenn Alarmismus die Argumente notorisch übertönt, befindet sich die Eidgenossenschaft auf dem Holzweg.

Quelle: NZZ

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