Darum ist die Türkei für den Westen so wichtig!

Flüchtlinge, Nato, Kampf gegen den IS – die Türkei spielt geopolitisch eine zentrale Rolle. Wie wirkt sich der Putschversuch darauf aus?

Schon vor dem vergangenen Freitag befand sich die Türkei in einem fragilen Zustand: der letztes Jahr wieder aufgeflammte Kurdenkonflikt und die Häufung von Terrroanschlagen in Istanbul und Ankara haben das Land tief erschüttert. Und nun hat der gescheiterte Putschversuch die Türkei erneut bis in die Grundfesten durchgerüttelt – mit noch nicht absehbaren Folgen.

Diese Situation bedeutet nicht nur für das türkische Volk eine grosse Unsicherheit, sondern wird sich auch auf verschiedene internationale Konflikte empfindlich auswirken. Das Land spielt in drei grossen Krisenherden eine zentrale Rolle: Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak, in der (damit zusammmenhängenden) Flüchtlingskrise und als Nato-Mitglied im Konflikt zwischen Russland und dem Westen.

Kampf gegen die Terrormiliz IS

Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan hielt sich mit einer aktiven Rolle im Kampf gegen die Terrormiliz IS lange Zeit zurück, obwohl die Türkei den IS als erstes Land überhaupt als Terror-Organisation einstufte. Zwar schloss sich die Türkei von Anfang an der US-geführten Koalition gegen den IS an (2014), beschränkte sich aber darauf, den USA die Nutzung von Militärflughäfen im Südosten des Landes zu erlauben.

Mehrfach wurde der türkischen Regierung unterstellt, mit dem IS Geschäfte zu machen und die Miliz zu dulden, weil sie auch gegen Kurdenmilizen kämpften und so der Türkei in die Karten spielten. Zudem gab es immer wieder Vorwürfe, dass die Türkei ausländische Jihad-Reisende auf dem Weg nach Syrien viel zu einfach passieren lasse. Ab Ende Juli 2015 verstärkte die Türkei ihre militärischen Operationen gegen den IS.

Mögliche Folgen des Putschs

Der gescheiterte Putsch könnte nun dazu führen, dass die Türkei sich in nächster Zeit aus dem Kampf gegen den IS raushält und sich auf die innere Stabilität fokussiert. So wurde den US-Streitkräften bis auf weiteres die Nutzung von türkischen Flugplätzen verboten, wie etwa der «Guardian» schreibt. Wie lange das Flugverbot über türkischem Boden besteht, ist völlig offen. Die Möglichkeit zu Luftangriffen in Syrien durch die USA ist dadurch empfindlich eingeschränkt. Zudem stiessen die schnellen Anschuldigungen der türkischen Regierung, die USA könnten etwas mit dem Putschversuch zu tun haben, dort auf keinerlei Verständnis, wie unter anderem die «Welt» berichtet.

Die Türkei hatte im Syrienkonflikt ausserdem verschiedene Rebellengruppen im Kampf gegen die Armee von Machthaber Baschar al-Assad unterstützt. Sollte diese Unterstützung nun wegfallen, würde das diese Gruppen empfindlich schwächen und die Situation in Syrien mit unvorhersehbaren Folgen verändern, wie Public Radio International auf seiner Webseite schreibt.

Michael Stephens vom britischen sicherheitspolitischen Thinktank «Rusi» schrieb nach dem Putschversuch: «Die Türkei ist ein zentraler Dreh- und Angelpunkt in Sicherheitsfragen für Europa und den mittleren Osten. Das Land trägt einen grossen Anteil der Flüchtlingsmassen, dient der US-Koalition im Kampf gegen den IS als Ausgangsort für Angriffe und spielt eine entscheidende Rolle bei der Beschaffung von Geheimdienstinformationen über den IS.» Der Putschversuch stelle alle diese Rollen auf eine ganz harte Probe.

Für das Assad-Regime in Syrien könne der Putschversuch fast nur positiv sein, glaubt Syrienexperte Joshua Landis von der University of Oklahoma. Zum «Wall Street Journal» sagte er: «Der Putsch, auch gescheitert, ist gut für Assad, weil er die Türkei so oder so schwächt. In nächster Zeit werde die Türkei sich auf sich selbst konzentrieren und Ambitionen in Syrien werden keine Priorität haben.»

Flüchtlingskrise

Kein Land beherbergt mehr syrische Flüchtlinge als die Türkei, rund 2,7 Millionen Syrer wurden seit 2011 offiziell registriert. Durch das Abkommen mit der EU, Flüchtlinge aus Griechenland zurück zu nehmen, wurde die Rolle der Türkei für Europa noch viel zentraler. Doch der Deal stand schon vor dem Putschversuch auf wackligen Beinen, weil Präsident Erdogan sich weigerte, gewisse Bedingungen der EU – vor allem die Änderung des Anti-Terror-Gesetzes – zu erfüllen.

Sollte, wie zum Teil befürchtet, Erdogan in den nächsten Monaten eine noch restriktivere Politik führen, stünde die EU vor der heiklen Frage, ob sie das Rücknahmeabkommen mit der Türkei kündigen soll. Damit könnte sich die Flüchtlingskrise in Griechenland und entlang der Balkanroute wieder verstärken. Das wäre zwar alles andere als im Interesse der EU, auf der anderen Seite kann die Union auch nicht einfach über jede kritische Entwicklung in der Türkei hinweg sehen, um das Abkommen nicht zu gefährden. Fakt ist: die EU ist auch weiterhin auf die Zusammenarbeit mit der Türkei angewiesen. Entsprechend deutlich fielen die ersten Reaktionen aus, in denen die europäischen Regierungen sich klar und deutlich hinter die gewählte türkische Regierung stellten.

Für die syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, wird sich nach Expertenmeinung die Lage nicht allzusehr verändern. Aron Lund von der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden meint laut «WSJ», dass ein erfolgreicher Putsch schwere Auswirkungen auf die Flüchtlinge gehabt hätte. «Die Syrienpolitik ist das Projekt von Erdogans Partei AKP und sie ist in der Türkei nicht sehr populär», so Lund. Wäre der Putsch erfolgreich gewesen, hätte die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen sehr schnell kippen können.

Nato-/Russland-Konflikt

In der Folge des Ukrainekonflikts, der seit der Annexion der Krim durch Russland im März 2014, mal mehr mal weniger heiss läuft, haben sich die Spannungen zwischen Russland und der Nato zunehmend verschärft. Die Türkei stellt nach der USA die grössten Streitkräfte innerhalb der Nato. Nachdem sich die bilaterale Beziehung zwischen der Türkei und Russland nach längerer Eiszeit wieder entspannt hatten, könnte die Türkei auch in diesem Konflikt eine zentralle Rolle spielen, wie etwa die «Welt» schreibt.

Wie schlagkräftig die türkische Armee nach der angekündigten Säuberungsaktion im Nachgang des Putschversuchs noch sein wird, stellt unter anderem Sinan Ülgen, Aussenpolitikexperte der Carnegie Stiftung, in Frage. Die Nato müsse «ihren Partner nun umso mehr in ihre Strukturen und Einsätze einbinden, um den Zusammenhalt der Truppen zu stärken», zitiert ihn die «Welt».

 

Am Nato-Gipfel in Warschau diese Woche, einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, dass eine Abschreckung gegenüber Russland nötig sei. Dabei wäre eine starke Türkei mit ihren grossen Streitkräften wertvoll für das Bündnis. Durch das derzeit kühle Verhältnis zwischen der USA und der Türkei ist auch die Bereitschaft der Türkei in der Nato eine aktive Rolle zu übernehmen in Frage gestellt.

Wirtschaftliche Folgen des Putschversuchs

Unter dem Putschversuch wird vor allem die türkische Wirtschaft leiden, wie die «NZZ» schreibt. Unmittelbar nach dem Umsturzversuch brach die türkische Lira um fast sechs Prozent ein. Zudem vermutet die «NZZ», dass der Putschversuch, selbst wenn sich die Lage relativ rasch stabilisieren wird, ein schlechtes Licht auf die allgemeine Sicherheitslage im Land werfen und ausländische Investoren auch langfristig abschrecken könne.

Ein schwerer Schlag wird diese Entwicklung auch für den sowieso schon angeschlagenen Tourismussektor in der Türkei sein. Dieser steuert laut «NZZ» jährlich rund 30 Milliarden Dollar, das sind fünf Prozent, zum Bruttoinlandprodukt der Türkei bei. Terroranschläge, Reisewarnungen und nun der Putschversuch werden den Tourismus weiter schwächen. Schon im Mai reisten rund 23 Prozent weniger Gäste ins Land als im Vorjahresmonat. Ein Trend, der sich nun weiter verstärken dürfte.

Flüchtlinge, Nato, Kampf gegen den IS – die Türkei spielt geopolitisch eine zentrale Rolle. Wie wirkt sich der Putschversuch darauf aus?

Schon vor dem vergangenen Freitag befand sich die Türkei in einem fragilen Zustand: der letztes Jahr wieder aufgeflammte Kurdenkonflikt und die Häufung von Terrroanschlagen in Istanbul und Ankara haben das Land tief erschüttert. Und nun hat der gescheiterte Putschversuch die Türkei erneut bis in die Grundfesten durchgerüttelt – mit noch nicht absehbaren Folgen.

Diese Situation bedeutet nicht nur für das türkische Volk eine grosse Unsicherheit, sondern wird sich auch auf verschiedene internationale Konflikte empfindlich auswirken. Das Land spielt in drei grossen Krisenherden eine zentrale Rolle: Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak, in der (damit zusammmenhängenden) Flüchtlingskrise und als Nato-Mitglied im Konflikt zwischen Russland und dem Westen.

Kampf gegen die Terrormiliz IS

Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan hielt sich mit einer aktiven Rolle im Kampf gegen die Terrormiliz IS lange Zeit zurück, obwohl die Türkei den IS als erstes Land überhaupt als Terror-Organisation einstufte. Zwar schloss sich die Türkei von Anfang an der US-geführten Koalition gegen den IS an (2014), beschränkte sich aber darauf, den USA die Nutzung von Militärflughäfen im Südosten des Landes zu erlauben.

Mehrfach wurde der türkischen Regierung unterstellt, mit dem IS Geschäfte zu machen und die Miliz zu dulden, weil sie auch gegen Kurdenmilizen kämpften und so der Türkei in die Karten spielten. Zudem gab es immer wieder Vorwürfe, dass die Türkei ausländische Jihad-Reisende auf dem Weg nach Syrien viel zu einfach passieren lasse. Ab Ende Juli 2015 verstärkte die Türkei ihre militärischen Operationen gegen den IS.

Mögliche Folgen des Putschs

Der gescheiterte Putsch könnte nun dazu führen, dass die Türkei sich in nächster Zeit aus dem Kampf gegen den IS raushält und sich auf die innere Stabilität fokussiert. So wurde den US-Streitkräften bis auf weiteres die Nutzung von türkischen Flugplätzen verboten, wie etwa der «Guardian» schreibt. Wie lange das Flugverbot über türkischem Boden besteht, ist völlig offen. Die Möglichkeit zu Luftangriffen in Syrien durch die USA ist dadurch empfindlich eingeschränkt. Zudem stiessen die schnellen Anschuldigungen der türkischen Regierung, die USA könnten etwas mit dem Putschversuch zu tun haben, dort auf keinerlei Verständnis, wie unter anderem die «Welt» berichtet.

Die Türkei hatte im Syrienkonflikt ausserdem verschiedene Rebellengruppen im Kampf gegen die Armee von Machthaber Baschar al-Assad unterstützt. Sollte diese Unterstützung nun wegfallen, würde das diese Gruppen empfindlich schwächen und die Situation in Syrien mit unvorhersehbaren Folgen verändern, wie Public Radio International auf seiner Webseite schreibt.

Michael Stephens vom britischen sicherheitspolitischen Thinktank «Rusi» schrieb nach dem Putschversuch: «Die Türkei ist ein zentraler Dreh- und Angelpunkt in Sicherheitsfragen für Europa und den mittleren Osten. Das Land trägt einen grossen Anteil der Flüchtlingsmassen, dient der US-Koalition im Kampf gegen den IS als Ausgangsort für Angriffe und spielt eine entscheidende Rolle bei der Beschaffung von Geheimdienstinformationen über den IS.» Der Putschversuch stelle alle diese Rollen auf eine ganz harte Probe.

Für das Assad-Regime in Syrien könne der Putschversuch fast nur positiv sein, glaubt Syrienexperte Joshua Landis von der University of Oklahoma. Zum «Wall Street Journal» sagte er: «Der Putsch, auch gescheitert, ist gut für Assad, weil er die Türkei so oder so schwächt. In nächster Zeit werde die Türkei sich auf sich selbst konzentrieren und Ambitionen in Syrien werden keine Priorität haben.»

Flüchtlingskrise

Kein Land beherbergt mehr syrische Flüchtlinge als die Türkei, rund 2,7 Millionen Syrer wurden seit 2011 offiziell registriert. Durch das Abkommen mit der EU, Flüchtlinge aus Griechenland zurück zu nehmen, wurde die Rolle der Türkei für Europa noch viel zentraler. Doch der Deal stand schon vor dem Putschversuch auf wackligen Beinen, weil Präsident Erdogan sich weigerte, gewisse Bedingungen der EU – vor allem die Änderung des Anti-Terror-Gesetzes – zu erfüllen.

Sollte, wie zum Teil befürchtet, Erdogan in den nächsten Monaten eine noch restriktivere Politik führen, stünde die EU vor der heiklen Frage, ob sie das Rücknahmeabkommen mit der Türkei kündigen soll. Damit könnte sich die Flüchtlingskrise in Griechenland und entlang der Balkanroute wieder verstärken. Das wäre zwar alles andere als im Interesse der EU, auf der anderen Seite kann die Union auch nicht einfach über jede kritische Entwicklung in der Türkei hinweg sehen, um das Abkommen nicht zu gefährden. Fakt ist: die EU ist auch weiterhin auf die Zusammenarbeit mit der Türkei angewiesen. Entsprechend deutlich fielen die ersten Reaktionen aus, in denen die europäischen Regierungen sich klar und deutlich hinter die gewählte türkische Regierung stellten.

Für die syrischen Flüchtlinge, die in der Türkei leben, wird sich nach Expertenmeinung die Lage nicht allzusehr verändern. Aron Lund von der Carnegie Stiftung für Internationalen Frieden meint laut «WSJ», dass ein erfolgreicher Putsch schwere Auswirkungen auf die Flüchtlinge gehabt hätte. «Die Syrienpolitik ist das Projekt von Erdogans Partei AKP und sie ist in der Türkei nicht sehr populär», so Lund. Wäre der Putsch erfolgreich gewesen, hätte die Stimmung gegenüber den Flüchtlingen sehr schnell kippen können.

Nato-/Russland-Konflikt

In der Folge des Ukrainekonflikts, der seit der Annexion der Krim durch Russland im März 2014, mal mehr mal weniger heiss läuft, haben sich die Spannungen zwischen Russland und der Nato zunehmend verschärft. Die Türkei stellt nach der USA die grössten Streitkräfte innerhalb der Nato. Nachdem sich die bilaterale Beziehung zwischen der Türkei und Russland nach längerer Eiszeit wieder entspannt hatten, könnte die Türkei auch in diesem Konflikt eine zentralle Rolle spielen, wie etwa die «Welt» schreibt.

Wie schlagkräftig die türkische Armee nach der angekündigten Säuberungsaktion im Nachgang des Putschversuchs noch sein wird, stellt unter anderem Sinan Ülgen, Aussenpolitikexperte der Carnegie Stiftung, in Frage. Die Nato müsse «ihren Partner nun umso mehr in ihre Strukturen und Einsätze einbinden, um den Zusammenhalt der Truppen zu stärken», zitiert ihn die «Welt».

 

Am Nato-Gipfel in Warschau diese Woche, einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, dass eine Abschreckung gegenüber Russland nötig sei. Dabei wäre eine starke Türkei mit ihren grossen Streitkräften wertvoll für das Bündnis. Durch das derzeit kühle Verhältnis zwischen der USA und der Türkei ist auch die Bereitschaft der Türkei in der Nato eine aktive Rolle zu übernehmen in Frage gestellt.

Wirtschaftliche Folgen des Putschversuchs

Unter dem Putschversuch wird vor allem die türkische Wirtschaft leiden, wie die «NZZ» schreibt. Unmittelbar nach dem Umsturzversuch brach die türkische Lira um fast sechs Prozent ein. Zudem vermutet die «NZZ», dass der Putschversuch, selbst wenn sich die Lage relativ rasch stabilisieren wird, ein schlechtes Licht auf die allgemeine Sicherheitslage im Land werfen und ausländische Investoren auch langfristig abschrecken könne.

Ein schwerer Schlag wird diese Entwicklung auch für den sowieso schon angeschlagenen Tourismussektor in der Türkei sein. Dieser steuert laut «NZZ» jährlich rund 30 Milliarden Dollar, das sind fünf Prozent, zum Bruttoinlandprodukt der Türkei bei. Terroranschläge, Reisewarnungen und nun der Putschversuch werden den Tourismus weiter schwächen. Schon im Mai reisten rund 23 Prozent weniger Gäste ins Land als im Vorjahresmonat. Ein Trend, der sich nun weiter verstärken dürfte.

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